Nicolás Maduro hat Venezuela ruiniert, doch er verfügt über alles, was ein Diktator für den Machterhalt braucht. Zudem ist sein Land für einige ausländische Staaten interessant.
Alexander Busch, Salvador
8 min
Inzwischen ist offiziell bestätigt, dass Venezuelas Präsident Nicolás Maduro die Wahlen Ende Juli hat fälschen lassen. Die Wahlbeobachter des Carter Center, die als einzige seriöse ausländische Expertenkommission zugelassen waren, stufen die Wahlen als «undemokratisch» ein. Mehrere unabhängige Umfragen kommen zu dem Ergebnis, dass eigentlich der Oppositionskandidat Edmundo González die Wahlen mit mehr als 60 Prozent der Stimmen gewonnen hat. Zu diesem Resultat kommen auch Analysen der «Washington Post» und der «New York Times», welche sich auf von der Opposition gesammelte Wahlblätter von etwa 80 Prozent der elektronischen Wahlmaschinen stützen.
Präsident Maduro kümmert das wenig: Unverfroren erklärte er sich noch vor Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses zum gewählten Präsidenten. Er brach die Beziehungen zu sieben lateinamerikanischen Staaten ab. Die Regierungen hatten es gewagt, eine transparente Stimmauswertung zu fordern. Und gegen die Proteste im Land setzt er Polizei und Militär ein. Tausende Demonstranten wurden bisher verhaftet. Es gab nach unbestätigten Angaben bereits mehr als 20 Tote.
Der Wahlausgang erinnert damit an die beiden bisherigen Wahlen Maduros: Auch zuvor gab es zahlreiche Hinweise auf Fälschungen, auch zuvor schlug er Proteste brutal nieder. Denn Maduro ist schon lange unbeliebt, die Bilanz des 61-jährigen Präsidenten ist verheerend. Drei Umstände belegen eindrucksvoll sein Scheitern:
Eine Bilanz des Scheiterns
- Venezuela war jahrzehntelang eines der wohlhabendsten Länder Lateinamerikas. Doch unter Maduros Regierung ist das Bruttoinlandprodukt um 75 Prozent geschrumpft. Das Pro-Kopf-Einkommen der Venezolaner liegt heute auf dem Niveau von Bangladesh. Der staatliche Mindestlohn beträgt umgerechnet etwa 3 Dollar im Monat. Drei Viertel der Bevölkerung sind arm.
- Venezuela hatte in den vergangenen Jahren wiederholt die höchste Inflation der Welt. 2018 lag die Hyperinflation bei einer Million Prozent. Zwischen 2007 und 2021 wurden bei der Landeswährung vierzehn Nullen gestrichen. Inzwischen ist der US-Dollar inoffizielles Zahlungsmittel.
- Nach Angaben des Uno-Flüchtlingskommissariats haben rund 8 Millionen Menschen das Land verlassen. Das entspricht einem Viertel der Bevölkerung. Die Menschen fliehen wegen der Wirtschaftskrise und der Repression.
In Anbetracht dessen erstaunt es, dass sich Maduro in den vergangenen elf Jahren an der Macht halten konnte und diese sogar weiter ausgebaut hat. Doch das lässt sich mit verschiedenen Gründen erklären.
1.Maduro profitiert von den Ölreserven des Landes
Ende 2012 ernennt der todkranke Präsident Hugo Chávez seinen wenig bekannten Aussenminister Nicolás Maduro zu seinem Nachfolger. Das macht den ehemaligen Busfahrer Maduro bei vielen beliebt, etwa die Hälfte der Venezolaner hält ihn damals für einen guten Nachfolger. Nach dem Tod von Chávez im März 2013 ist Maduros Popularität so hoch wie nie zuvor.
Das liegt am Charisma von Chávez – und am Erdöl. Venezuela verfügt über die grössten Ölreserven der Welt. In seinen vierzehn Jahren als Präsident baut Chávez mit den hohen Öleinnahmen einen gigantischen Macht- und Verteilungsapparat auf. Er macht den staatlichen Ölkonzern PDVSA zu seiner Haushaltskasse und entnimmt in vierzehn Jahren 800 Milliarden Dollar. Als das nicht reicht, verschuldet er sich im Ausland. China leiht ihm 50 Milliarden für künftige Öllieferungen.
Der Ölkonzern wird zum Selbstbedienungsladen für die Spitzen des Regimes und des Militärs, über den sich der ehemalige Oberst Chávez und später Maduro ihre Loyalität sichern. Zudem werden dort treue Anhänger mit Jobs versorgt.
Mangels Investitionen und Expertise produziert der Konzern immer weniger Öl. Doch das merkt lange niemand: Der Ölpreis steigt unter Chávez von rund 10 Dollar pro Barrel auf über 100 Dollar.
Die Menschen in Venezuela hoffen, dass Maduro die Politik seines Vorgängers fortsetzen wird. Doch als er an die Macht kommt, fällt der Ölpreis innerhalb von anderthalb Jahren auf 44 Dollar pro Barrel. Er muss zu anderen Mitteln greifen, um seine Macht zu sichern. Dafür hatte sein Vorgänger Chávez vorgesorgt.
2.Maduro kann autoritär regieren, sein Vorgänger hat die Gesellschaft gespalten und den Staat militarisiert
Die Gesellschaft von Venezuela als Erdölland war schon immer von grossen Einkommensunterschieden geprägt. Doch Chávez polarisierte die gespaltene Gesellschaft: Er beschimpfte die Elite als «escuálidos», als «bleiche Schwächlinge». Er macht sie für die soziale Spaltung des Landes verantwortlich – womit er durchaus recht hat. Doch mit seinen Tiraden sät er Hass.
Gleichzeitig hält Chávez fast jedes Jahr Wahlen und Abstimmungen ab. Er baut Verfassung und Staat um. Er reduziert die Gewaltenteilung, besetzt Justiz, Verwaltung und Militär mit Vertrauten, meist Militärs. Er selbst regiert per Dekret und über das Fernsehen.
Maduro ist jedoch weniger charismatisch als sein Vorgänger Chávez, zudem hat er wegen der sinkenden Ölpreise weniger Geld zur Verfügung. Maduro ist zu keiner Zeit so beliebt wie sein Vorgänger. Selbst die Wahlen im April 2013 kann er nur durch Manipulationen knapp für sich entscheiden. Als Maduro im Amt ist, sinken seine Umfragewerte rapide. Bereits 2015 bewerten ihn über 70 Prozent der Bevölkerung negativ. Daran hat sich seither wenig geändert. Maduro nutzt die von Chávez geschaffenen autoritären Strukturen, um zu regieren.
3.Maduro macht Verbündete und Militärs zu Komplizen seiner Schurkenwirtschaft
Venezuela steht auf der Liste der korruptesten Staaten der Welt von Transparency International auf Platz 177 von 180 Staaten. Staatliche Positionen werden zur persönlichen Bereicherung genutzt, hohe Militärs erhalten gut dotierte Posten in den Ölkonzernen. Nach offiziellen Angaben der Zentralbank verschwanden in den vierzehn Jahren unter Chávez rund 500 Milliarden Dollar an Öleinnahmen aus den Bilanzen der Konzerne.
Seit 2019 darf Venezuela wegen US-Sanktionen kein Öl mehr exportieren, Militärs und andere «enchufados» (Nutzniesser des Regimes) organisieren den Ölhandel mit Indien und China.
Unter Maduro beteiligen sich Militärs, andere Verbündete des Regimes und kriminelle Organisationen laut dem Informationsdienst Insight Crime auch zunehmend am illegalen Goldbergbau im Amazonasgebiet und am Kokainschmuggel von Kolumbien in die USA und nach Europa.
Das Militär steht stets an erster Stelle bei der Selbstbereicherung: Venezuela hat mit rund 2000 Generälen und Admirälen eine Armee, die so viele Spitzenpositionen hat wie kaum sonst ein Land irgendwo auf der Welt. Das ist strategisch geschickt: Denn damit macht Maduro die Profiteure zu Komplizen. Rund 200 Venezolaner sind von den USA zur Fahndung ausgeschrieben, unter ihnen sind viele hochrangige Militärs und Minister. Bei einem Regierungswechsel drohen ihnen langjährige Haftstrafen. Das macht sie zwangsläufig loyal.
Andererseits geht Maduro brutal vor, wenn er Verrat wittert. So war sein Ölminister Tareck El Aissami lange Jahre einflussreich. Er galt als einer von Maduros möglichen Nachfolgern. Doch dann wurde er zu mächtig. Jetzt wird gegen ihn wegen Korruption ermittelt. Ihm drohen ein Schauprozess und lebenslange Haft.
4.Maduro hat mit ausländischer Hilfe ein System der Unterdrückung und Überwachung aufgebaut
Maduros Vorgänger Hugo Chávez misstraute seinen eigenen Truppen – schliesslich hatte er vor seiner Wahl selbst einen Putschversuch unternommen. Sein Vorbild Fidel Castro half ihm: Kuba schickte nicht nur Ärzte und Lehrer für Öl nach Venezuela. Mit kubanischer Hilfe baute Chávez auch einen eigenen Geheimdienst auf, der vor allem das Militär und den Staatsapparat ausspioniert. Etwa die Hälfte der politischen Gefangenen in Venezuela sind Militärs, schätzt Foro Penal, eine oppositionelle Nichtregierungsorganisation.
Bis heute ist die kubanische Repressionsexpertise für Maduros Machterhalt entscheidend. Kuba hat sechzig Jahre Erfahrung darin, wie man ein Volk trotz Mangel und Armut in Schach hält. Auch jetzt sollen Elitetruppen aus Kuba eingeflogen worden sein, um die Proteste niederzuschlagen.
Doch Maduros Beziehungen zu Kuba sind auch persönlich. Der 24-jährige Schulabbrecher Maduro hatte 1986 in Havanna die Kaderschmiede «Ñico López» besucht. Dort werden sozialistische Kader für den Revolutionsexport ausgebildet.
Wichtigster militärischer Verbündeter ist seit langem Russland, das jahrelang Waffen und Rüstungsgüter in die Karibik lieferte. Das Staatsunternehmen Russian Technologies (Rostec) gibt den Wert der russischen Rüstungsaufträge für Venezuela auf 12 Milliarden Dollar an.
Inzwischen scheint aber China zum wichtigsten Lieferanten von Repressionstechnologie geworden zu sein, schätzen ausländische Beobachter wie die Organisation Probox. Viele Venezolaner erhalten ihre Lebensmittelrationen und Sozialleistungen, ohne die sie nicht überleben könnten, über elektronische «Vaterlandskarten». Die Technik stammt aus China. Die E-Pässe ermöglichten eine lückenlose Kontrolle grosser Teile der Bevölkerung, beobachtet Probox.
Zudem nutzt das Regime die sozialen Netzwerke, um Widerstand schon im Vorfeld zu unterdrücken. Venezuela hat sich zu einem Überwachungsstaat entwickelt.
Zugleich schränkt Maduro ein, welche Dienste die Bürger nutzen dürfen. So hat er am Donnerstag (Ortszeit) die Sperrung der Plattform X für einen Zeitraum von zehn Tagen angeordnet. «Twitter, jetzt bekannt als X, hat zu Hass, Faschismus, Bürgerkrieg, Tod und Konfrontation unter den Venezolanern aufgerufen», sagte Maduro bei einer Ansprache. Deswegen habe er die Telekommunikationsbehörde Conatel angewiesen, X für zehn Tage zu sperren. Er liess offen, wann diese Massnahme in Kraft treten würde.
Bereits am Montag hatte Maduro dazu aufgerufen, den Messenger-Dienst Whatsapp zu deinstallieren, da dieser benutzt werde, «um Venezuela zu bedrohen». Ausserdem forderte er am Sonntag Empfehlungen von Experten zur Regulierung von sozialen Netzwerken wie Instagram und Tik Tok. Laut Maduro wurden diese Plattformen genutzt, um den Hass bei spontanen Protesten gegen seine Regierung zu schüren.
5.Maduro nutzt die geopolitischen Machtverschiebungen und die Schwäche der USA
Die Lage in der Karibik vor der Haustür der USA zahlt sich für Maduro aus. Geschickt hat er ein Netzwerk antiwestlicher Verbündeter aufgebaut. Allein die regelmässig auftauchenden Gerüchte, China oder Russland könnte in Venezuela einen Militärstützpunkt errichten, führen im Pentagon zu Verunsicherung.
Für China und Russland ist die Lage Venezuelas an der Südflanke der USA strategisch wichtig. Von dort lassen sich die Karibik und Zentralamerika überwachen. Damit können sie Einfluss nehmen auf den Drogenhandel und die Flüchtlingsströme in die USA – beides sind dort hochsensitive innenpolitische Themen.
Aber auch zu anderen Pariastaaten des Westens unterhält Maduro enge Beziehungen: So sollen die Türkei und auch Iran wichtige Absatzkanäle für das in Venezuela produzierte Gold sein. Aus dem lange isolierten Venezuela gibt es schon lange wöchentliche Flugverbindungen nach Teheran und Istanbul.
Gleichzeitig verfügt Maduro immer noch über die grössten Ölreserven der Welt. Zwar fördert das Land wegen fehlender Investitionen und Korruption nur noch wenig Öl. Doch die rund 800000 Barrel Öl pro Tag spülen immer noch genug Dollar in die Kassen, um Maduros Anhänger bei Laune zu halten – und ausländische Konzerne als Bittsteller vor der Tür Schlange stehen zu lassen.
Die USA haben Venezuela gegen das Versprechen freier Wahlen erlaubt, legal Öl zu exportieren. Amerikanische Konzerne wie Chevron, aber auch Repsol oder Eni aus Europa dürfen in begrenztem Umfang wieder fördern. Es ist unwahrscheinlich, dass Washington das Embargo nach der gefälschten Wahl wieder einführt – mitten im US-Wahlkampf. Die Demokraten wollen hohe Ölpreise verhindern.
Aber auch mit den Flüchtlingen hat Maduro Einfluss auf die US-Innenpolitik. Inzwischen kommen die meisten Migranten an der US-Grenze aus Venezuela.
Maduro verfügt über alles, was ein Diktator braucht
Trotz seiner katastrophalen Regierungsbilanz dürfte Maduro Präsident bleiben. Es sieht sogar so aus, als befinde er sich wegen der geopolitischen Aufwertung als Verbündeter von Russland und China derzeit im Zenit seiner Macht. Deshalb gibt er sich kaum noch Mühe, den Eindruck zu erwecken, die Wahlen seien sauber verlaufen.
Der Fall Maduro bestätigt das, was auch für Putin gilt: Diktatoren sind kaum aus dem Amt zu entfernen, auch wenn ihre Regierungen für die Bevölkerung eine Katastrophe sind. Für eine feste Machtbasis müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Tyrannen brauchen einen effizienten Macht- und Unterdrückungsapparat, sie müssen über wichtige Rohstoffe verfügen und attraktiv sein für mächtige ausländische Verbündete. Über all das verfügt Maduro.
Passend zum Artikel
Héctor Abad
4 min
3 min
Alexander Busch, Salvador
4 min